
Wolfgang Leonhard 1990 (Foto: Thomas Uhlemann, Bundesarchiv, Bild 183-1990-0625-029a, via Wikimedia Commons)
Der 1921 in Wien mit Vornamen Wolodja geborene Leonhard wuchs zunächst in Berlin auf. Nach der Machterlangung der Nationalsozialisten entschied seine Mutter Susanne – selbst überzeugte Kommunistin und enge Freundin Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs – ihn nach Stockholm in Sicherheit zu bringen. Sie selbst folgte ihm erst zwei Jahre später und arbeitete bis 1935 illegal für eine antifaschistische Gruppe in Deutschland. Da Wolfgang Leonard neben der österreichischen auch die sowjetische Staatsbürgerschaft besaß (Susanne Leonard war zur Zeit seiner Geburt mit dem sowjetischen Botschafter in Wien und Lenin-Vertrauten Mieczyslaw Bronski verheiratet), wanderten beide noch im selben Jahr in die Sowjetunion aus, nachdem Schweden ihr eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert hatte. Da seine Mutter im Zuge stalinistischer Säuberungen vom NKWD verhaftet und für zwölf Jahre in das Gulag Workuta verbannt wurde, wuchs Leonard dort im Moskauer „Kinderheim Nr. 6“ für deutsche Kommunisten auf und besuchte zunächst die deutschsprachige Karl-Liebknecht-Schule. Später nahm er ein Studium auf. Nach dem deutschen Angriffs auf die Sowjetunion wurde Leonard 1941 nach Kasachstan zwangsumgesiedelt. Dort besuchte er zunächst ein Lehrerinstitut, bevor er an der Schule der Komintern zum kommunistischen Politkommissar ausgebildet wurde. Ab 1943 war er Mitarbeiter des Nationalkomitees Freies Deutschland und arbeitete als Sprecher für den Sender „Freies Deutschland“.
Mit Ende des Krieges kehrte Leonard als Teil der „Gruppe Ulbricht“ nach Berlin zurück. Auf Weisung Walter Ulbrichts trug Leonhard fortan seinen deutschen Vornamen. Von 1945 bis 1947 arbeitete er in der Abteilung Agitation und Propaganda beim ZK der KPD/SED und wirkte am Aufbau des neuen Staates kommunistischer Prägung mit. Anschließend nahm er eine Lehrtätigkeit im Fach Geschichte an der Parteihochschule „Karl Marx“ der SED an.
Mit der Hilfe des späteren DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck gelang es ihm 1948 seine Mutter aus Sibirien zurück nach Deutschland zu holen. Die erlebten stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion und der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland sowie seine Erfahrungen beim Aufbau der DDR bewirkten bei ihm jedoch eine innere Abkehr vom Stalinismus. Leonhard selbst bezeichnete dies später als Ergebnis eines jahrelangen, qualvollen Prozesses des Zweifelns und der Rechtfertigung, der Gewissensqualen und der konstruierten Theorien zu ihrer Beruhigung
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Zeitgleich widersetzte sich Tito dem Führungsanspruch Moskaus und propagierte für Jugoslawien den „dritten Weg“ eines besseren Sozialismus. In Folge seiner Selbstzweifel entschied sich Leonhard deshalb 1949 zur Flucht über Prag nach Jugoslawien, wo er zeitweilig für das Auslandsprogramm von Radio Belgrad arbeitete.
1950 siedelte er in die neugegründete Bundesrepublik über und gründete dort mit anderen kommunistischen Abweichlern die antistalinistische, sozialistische Unabhängige Arbeiterpartei Deutschlands, nachdem die SED ihn wegen „trotzkistischer Tätigkeit“ ausgeschlossen hatte. Nachdem die jugoslawische KP nach Betreiben von SPD-Chef Herbert Wehner die finanzielle Unterstützung für die UAPD einstellte, löste sich die Partei 1952 wieder auf. Leonhard arbeitete fortan als Journalist und Publizist zu Fragen der Sowjetunion sowie des internationalen Kommunismus für verschiedene Zeitungen, darunter „Die Zeit“. 1955 veröffentlichte er sein bekanntestes Buch „Die Revolution entlässt ihre Kinder“, in dem er seinen politischen Weg von Moskau bis zur Flucht aus der SBZ beschreibt. Es galt als eines der ersten Veröffentlichungen zu Interna aus dem inneren Machtzirkel im Ostteil Deutschlands und enthielt zahlreiche Enthüllungen über die Arbeit deutscher Kommunisten in Moskau.
Von 1956 bis 1958 studierte Leonhard in Oxford und übte anschließend Forschungstätigkeiten Columbia University New York aus. Von 1966 bis 1987 lehrte er die Geschichte der UdSSR und des Kommunismus an der historischen Fakultät von Yale und war Gastprofessor an zahlreichen deutschen Universitäten. Als Teil einer Delegation des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker besuchte er 1987 erstmals wieder die Sowjetunion.
In seinen Veröffentlichungen setzte sich Leonhard stets sachlich fair und frei von jedem missionarischen Eifer mit dem Kommunismus auseinander und vermied hierbei jede Form von Antikommunismus oder Schönfärberei. Zugleich wandte er sich gegen Bestrebungen, das SED-Regime im Zuge der Entspannungspolitik zu stark aufzuwerten. Für sein Wirken erhielt Wolfgang Leonhard zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, darunter 1987 das Bundesverdienstkreuz I. Klasse.
Weiterführende Literatur
- Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln 1955.
- Leonhard, Wolfgang: Meine Geschichte der DDR, Berlin 2007.
- Leonhard, Wolfgang: Anmerkungen zu Stalin, Berlin 2009.